Unvergessene
Graf Dietrich IV. von Manderscheid-Schleiden
"Der Weise"
Hans-Jürgen Neuhaus
Graf Dietrich IV. von Manderscheid-Schleiden wurde am 14. August 1481 vermutlich im gräflichen Schloss in Schleiden geboren. Seine Eltern waren Graf Kuno von Manderscheid-Schleiden und Gräfin Mathilde von Virneburg. 1501 folgte Dietrich seinem jung und unvermählt verstorbenen Bruder Kuno dem Jüngeren in der Schleidener Regentschaft nach.
Die Grafschaft Schleiden war auf Grund ihrer Eisenproduktion sehr bedeutsam. Die Manderscheider hatten sie nicht kriegerisch erobert, sondern sie war ihnen durch Heirat und Erbfolge zugefallen. Dietrich IV. war zweimal verheiratet. Am 1. Oktober 1506 vermählte sich Dietrich mit Margaretha von Sombreff, Witwe des Grafen Heinrich von Reichenstein. Er war nun „Graf von Manderscheid, Blankenheim und Virneburg, Herr in Schleiden, Kerpen, Rüxheim, Saffenburg, Daun, Neuenstein, Croneburg und Virneburg“ und stieg damit zu einem der größten Territorialherren des Eifelraumes auf. Aus dieser Ehe stammten die Söhne Dietrich und Franz. Die zweite Ehe mit der ebenfalls verwitweten Elisabeth von Neufchateau blieb kinderlos.
Unter Dietrich erlebte die Schleidener Eisenindustrie eine Blütezeit. Zudem gehörten zwei seiner Untertanen zu der geistigen Elite Europas. Die Bürgersöhne Johannes Sturm, Sohn eines Rentmeisters des Grafen und Johannes Sleidanus zählen zu den großen Gelehrten des 16. Jahrhunderts. Graf Dietrich schätzte und förderte sie. Seinen Sohn Franz ließ er vom jungen Sleidanus unterrichten.
Dietrich war für seine stets um Ausgleich und Konfliktvermeidung bemühte Haltung bekannt und als von beiden Seiten akzeptierter Vermittler gefragt, so etwa auf dem Reichstag zu Regensburg 1541.
Manche Eifler Kirchenbauten gehen auf die Initiative des Grafen zurück, so vor allem der Neubau der Schleidener Pfarrkirche St. Philippus und Jakobus mit ihren berühmten Glasfenstern, auf denen er sich gemeinsam mit seiner Gattin Margaretha von Sombreff bei der Anbetung des Jesuskindes hat abbilden lassen, und die Schlosskapelle in Kerpen.
1524 und 1526 nahm er an den Reichstagen in Speyer als Vertreter des Kölner Erzbischofs teil und 1527 für den Trierer Erzbischof in Regensburg. 1530 begleitete er seinen kurkölnischen Verwandten Hermann von Wied zum Reichstag nach Augsburg.
Dietrichs kaum zu überschätzende Leistung liegt darin, dass es ihm gelang, die auch in seinem Herrschaftsbereich durchaus vorhandenen religiösen Spannungen ohne die damals oft übliche Gewalttätigkeit zu kontrollieren. Nicht zuletzt dieses besonnene Vorgehen brachte ihm den verdienten Beinamen „Dietrich der Weise“ ein, der zudem auch Dietrichs vielfältiges Wissen widerspiegelt.
Als Graf Dietrich IV. 1551 starb, wurde er unter großen Feierlichkeiten, zu denen auch die Äbte von Steinfeld, Prüm, Himmerod und St. Martin zu Trier erschienen waren, auf traditionell katholische Weise in der Familiengruft der Schleidener Schlosskirche bestattet. Mit der Übernahme der Herrschaft durch Dietrich V. endete eine Zeit, die von vielen als Glanzpunkt in der Geschichte des Eifellandes angesehen wird.
Bürgermeister Heinrich Josef Thielen
Amtsbürgermeister in Manderscheid von 1875 bis 1898
Hans-Jürgen Neuhaus
Heinrich Josef Thielen wurde am 29. Oktober 1832 auf dem Hofgut Dierfeld geboren. Sein Vater war der Gutsbesitzer Anton Thielen, der in erster Ehe mit der Hoferbin Maria Walburga Rüth verheiratet war. Heinrich Josef war der Erstgeborene aus der zweiten Ehe mit Elisabeth Schneider aus Udler. Als Ältester besuchte er das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Trier, musste aber mit 17 Jahren, noch vor dem Abitur, wieder zurück auf den Hof, da der Vater verstorben war. Ohne fertige Schul- und Berufsausbildung musste er nun das Gut leiten.
Im Juni 1857 heiratete er Henriette Schruff, eine Tochter des Fabrikanten Johann Wilhelm Schruff aus Müllenborn. Acht Kinder gingen aus dieser Ehe hervor. 1867 starb die Ehefrau, erst 36 Jahre alt. Neun Jahre später heiratete Heinrich Josef Thielen ein zweites Mal, Angelika Merrem vom Gut Kirchhof bei Altrich. Es folgten weitere vier Kinder.
Mit 24 Jahren wurde Thielen Mitglied des Kreistages. Von 1875 bis 1898 war er Amtsbürgermeister in Manderscheid, wo er sich hohe Achtung erworben hat.
Über viele Jahre hatte sich Thielen erfolgreich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Eifel eingesetzt. Als Gutsbesitzer begann er während der Eifeler Notjahre mit Maßnahmen zur Umgestaltung von Viehzucht und Landwirtschaft und leitete damit eine Verbesserung der Lebensverhältnisse ein. Politisches Gewicht erhielten diese Bemühungen durch die Kontakte, die er als leitender Redakteur des von ihm gegründeten "Trierischen Landboten", als Kreistagsabgeordneter und als Bürgermeister von Manderscheid knüpfte. Mit Bürgermeister Bottler aus Wittlich und seinem Schwager vom Gut Kirchhof begann er mit der Gründung von Genossenschaften.1869 fanden sich die Landeigentümer in Niederöfflingen zur Gründung der ersten landwirtschaftlichen Casinogesellschaft des Kreises Wittlich zusammen, zwecks effektiverer Gestaltung der Anbaumethoden. Die Vermarktung der Milchprodukte verbesserte Thielen durch Initiativen zur Gründung von Molkereien. In Bettenfeld entstand 1895 die erste Molkerei der Eifel. In seine Amtszeit als Bürgermeister des Amtes Manderscheid fiel auch die Absenkung des Wasserspiegels des Meerfelder Maares, wodurch den Bauern des Ortes eine beträchtliche Vergrößerung der landwirtschaftlichen Nutzfläche gelang.
Als erster im Kreis Wittlich nahm sich Heinrich Josef Thielen auch der finanziellen Seite der Landwirtschaft an und begann 1870 mit der Gründung von Darlehenskassen.
Ein großes Anliegen Thielens war die Verbesserung der Ausbildung der Bevölkerung. So gründete er 1879 in Manderscheid die erste landwirtschaftliche Berufsschule.
Als Mitglied der in der Eifel wenig vertretenen National-Liberalen Partei und nicht in der übermächtigen katholischen Zentrumspartei, erhielt er bei seinen Kandidaturen zum Deutschen Reichstag 1890 und 1893 in seinem Wahlkreis Trier fast 40 Prozent der Stimmen seines Wahlbezirkes, leider nicht genügend zum Einzug in das Parlament.
Den Namen "Eifelheinrich" erhielt er durch seine Bemühungen um den Fredenverkehr. Schon lange vor der Gründung des Eifelvereins im Jahre 1888, an der er federführend beteiligt war und dessen Zweiter Vorsitzender er wurde, hatte er 1869 mit Manderscheider Bürgern den Verschönerungsverein gegründet, um Gästen die Schönheiten der Eifel zu erschließen und damit der Bevölkerung neue Einkommensmöglichkeiten zu bieten. Mit dem Manderscheider Verlag Franz von Recklinghausen verfasste er einen Führer durch Manderscheid und seine Umgebung. Ebenso veranlasste er die ersten „Postkartenbilder“ von Manderscheid und Umgebung.
Auch literarisch betätigte sich Thielen, um auf die Eifel aufmerksam zu machen. Seine bekannteste Erzählung ist "Das Grab im Schnee", erschienen in einer Kölner Zeitung, die das Schicksal eines im Schneesturm erfrorenen Eifelers beschreibt.
Von schwerer Krankheit betroffen, musste Heinrich Josef Thielen im Frühsommer 1898 sein Amt als Amtsbürgermeister von Manderscheid aufgeben. Er starb am Heiligabend des gleichen Jahres auf seinem Hof in Dierfeld. Er wurde nur 66 Jahre alt.
Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof in Laufeld.
2014 wurde sein Grabkreuz auf den Dierfelder Waldfriedhof versetzt. Auf der Niederburg hatte der Eifelverein 1922 seinem Mitbegründer eine Ehrentafel angebracht.
Sanitätsrat Dr. Cornelius Trimborn
Hans-Jürgen Neuhaus
Wenn man über Manderscheider Persönlichkeiten nachdenkt, stößt man unweigerlich auf Sanitätsrat Dr. Cornelius Trimborn.
Geboren am 14.7.1857 besuchte er wie seine Brüder das 1860 eröffnete katholische Gymnasium an St. Aposteln in Köln. Nach der Reifeprüfung studierte er mehrere Jahre an den Universitäten Göttingen und Bonn Mathematik, der er auch in seinem späteren Leben noch großes Interesse entgegenbrachte. Cornelius Trimborn gehörte er dem katholischen Studentenverein „Arminia“ an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn an, wie auch einige Jahre später Konrad Adenauer. Zum Lebensberuf erwählte er aber dann die Medizin und ließ sich nach dem Staatsexamen in Köln, Mauritiussteinweg 20, als praktischer Arzt nieder. Erst später erwarb er die Doktorwürden mit einer Arbeit über Bleivergiftungen. Am 30.1.1890 vermählte er sich in Lüttich mit Marie Agnes Charlotte Rosalie Gohr, die er als Student in Bonn kennen gelernt hatte. Sie war geboren in Lüttich am 14.1.1866 als Tochter des Gewehrfabrikanten Jo. Adam Gohr und seiner Mathilde. Ihre Ehe blieb kinderlos.
10 Jahre praktizierte Cornelius Trimborn in Köln, aber die Tätigkeit als praktischer Arzt in einer Großstadt sagte ihm auf die Dauer nicht zu. Er meinte, dass die Kranken fast in allen schwierigeren Fällen einen Spezialisten zu Rate zögen und dem Hausarzt nur die leichten Erkrankungen zur Behandlung überließen. Als im Jahre 1900 die Stelle eines Armenarztes der Bürgermeistereien Manderscheid, Laufeld und Niederöffingen mit einem „fürstlichen“ Gehalt von 300 Mark ausgeschrieben wurde, bewarb er sich darum und erhielt sie. Im Januar 1901 zog er von Köln nach Manderscheid um. Der Möbelwagen blieb in dem schneereichen Winter auf der Landstraße bei Daun stecken und erreichte sein Ziel erst im Frühjahr. So lange fanden die Eheleute mit Magd und Knecht und den zwei Pferden Flick und Flock Unterschlupf in dem Gasthaus Fischer-Heid in Manderscheid. In der Dauner Straße 144 ließ Cornelius Trimborn sich 1903 ein herrschaftliches Haus mit Kutscherwohnung in einem großen Garten errichten, in dem bis zu seinem Tode viele Verwandte und Freunde eine anregende Gastfreundschaft genossen haben. Marie Trimborn war eine vorzügliche Klavierspielerin und so fand im Hause so manches Hauskonzert statt. Cornelius Trimborn war schon seit seinen Jugendjahren ein leidenschaftlicher Schachspieler und wenn irgendwo Schachturniere stattfanden, nahm er, wenn irgendwie möglich, daran teil. Auch in Manderscheid waren ihm Schachspieler als Gäste besonders willkommen, die sogar die stillen Sprechstunden zum Spiel mit ihm benutzen konnten. 1924 wurde er Rheinlandmeister im Schach. Seiner Liebhaberei für Astronomie diente ein vorzügliches Fernrohr. Schon als Student hatte er seine jüngeren Geschwister für diese Wissenschaft zu begeistern versucht. Er liebte die Literatur. Sein Leben lang war er ein glühender Verehrer Schillers, dessen Balladen er bis ins hohe Alter aus dem Gedächtnis vortragen konnte.
Auch der Karneval steckte ihm von Köln her noch lange in den Knochen. Ein Leibstück, es wurde regelmäßig in den vorgerückten Stunden des Kaisergeburtstagessens erbeten, war sein italienischer Marktschreier, der Ciarlatano. Er hatte diese Marktleute auf seinen vielen Reisen nach Italien studiert und ahmte sie perfekt nach. Italien war sein bevorzugtes Reiseziel, das er dank bester Sprachkenntnisse genau kannte. Dabei legte er Wert darauf, sich mit einfachen Leuten des Landes zu unterhalten. Von seinen Reiseerlebnissen konnte er dann in fesselnder Weise erzählen.
Fast 26 Jahre hat Cornelius Trimborn seine beschwerliche Landpraxis, als einziger Arzt in der Grafschaft, in den teilweise entlegenen und armen Eifeldörfern ausgeübt. Über der Türe seines Sprechzimmers hing ein Spruch aus Dantes Göttlicher Komödie:
"Qui si convien lasciare ogne sospetto - ogni viltà convien che qui sia morta"
("Hier ziemt es, jeden Argwohn zurückzulassen, jede Feigheit muss hier ersterben.")
Aufs Geldverdienen kam es ihm wenig an. Oft beschenkte er arme Patienten noch aus der eigenen Tasche. Die ersten Jahre wurde er von seinem Kutscher Hanni (Johann Dresen) in der Pferdekutsche übers Land gefahren. 1902 kaufte er sich ein Auto, das erste Automobil in Manderscheid. Es war ein Zweisitzer des französischen Herstellers De-Dion-Buton vom Typ J. Und wieder war es Johann Dresen, der den Doktor zu seinen Patienten fuhr.
Neben seiner ärztlichen Tätigkeit engagierte sich Dr. Trimborn an verschiedenen Stellen der Gemeinde. Bereits 1901 trat er dem Verschönerungsverein bei. Auch in dem späteren Eifelverein wirkte er, zuletzt als Vorsitzender der Ortsgruppe, bis zu seinem Tod mit. Ihm zu Ehren wurde nach seinem Tod der Weg von der Wäschebach nach Belvedere „Corneliuspfad“ benannt. Dem Manderscheider Gemeinderat gehörte er von 1910 bis 1919 an. In der Casinogesellschaft war er seit 1901 Mitglied. 1911 wurde er deren Präses. Besondere Freundschaft pflegte er zum Apotheker Leo Bönner und zum Postverwalter Kaspar Floß, mit dem er seine Jagdleidenschaft teilte.
Cornelius Trimborn war ein Kölner Original, der sich hier in der Eifel sichtlich wohl fühle. Viele Episoden werden von dem Schalk, der gerne mit anderen seinen Spaß trieb, berichtet. Wenn er die Leute wieder einmal zum Narren gehalten hatte, war er in seinem Element.
Am 25. November 1926 starb Sanitätsrat Dr. Cornelius Trimborn in Manderscheid. Nach der von Dechant Schieben gehaltenen Trauermesse, wurde er unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Manderscheider Friedhof beerdigt. Seine Frau Marie lebte in dem Hause weiter bis zu ihrem Tod am 1. August 1937. Zu Erben hatten sie ihre Geschwister, die Patenkinder, ihre langjährige Hausangestellte Katharina Steffens (Doktisch Kättchen) und ihren Pflegesohn Hans Steffes eingesetzt.
Die Villa Trimborn in der Dauner Straße ist auch heute noch eine Zierde der Stadt Manderscheid.
Apotheker Leo Bönner
Apothekenbesitzer in Manderscheid von 1903 bis 1947
Johannes Dietlein
Leo Bönner wurde am 27. November 1871 im sauerländischen Attendorn geboren. Der frühe Tod des Vaters brachte die Familie in finanzielle Bedrängnis. Das Studium der Pharmazie entsprach zum einen der Neigung des jungen Leo, zum anderen versprach es damals aber auch einen schnellen Zugang zum Beruf. Und so absolvierte er zügig sein Studium, um in St. Blasien seine erste Anstellung als Apotheker zu finden. Dort lernte er seine künftige Ehefrau Elise Dossenbach kennen, eine Schwester des im Ersten Weltkrieg gefallenen und hoch dekorierten Kampffliegers Albert Dossenbach. Nach der Hochzeit mit Elise erwarb Leo Bönner im Jahre 1903 von seinem Vorgänger Wilhelm Hartmann die Konzession für die kurzfristig frei gewordene Hirsch-Apotheke in Manderscheid; dies zu dem durchaus stattlichen Preis von 55.000 Goldmark. Bis in das Alter von 75 Jahren und damit über 45 Jahre hinweg, sorgte Leo Bönner fortan als Apotheker für das gesundheitliche Wohlergeben der Menschen in und um Manderscheid. Zugleich engagierte er sich in vielfältiger Weise für den aufstrebenden Ort, u. a. als langjähriger Beigeordneter und ständiger Vertreter des Bürgermeisters, als Standesbeamter und vor allem als Mitglied des Verschönerungsvereins, der Manderscheider Ortsgruppe des Eifelvereins, dem er unmittelbar nach Übersiedlung nach Manderscheid im Jahre 1903 beigetreten war. Hier übernahm er schon bald die Rechnungsführung und wirkte danach bis zu seinem Tod ganze 25 Jahre als Schatzmeister des Vereins. In dem Posthalter Kaspar Floß, dessen Wohnräume heute – ebenso übrigens wie die Einrichtung der alten Apotheke - Teil des Manderscheider Heimatmuseums sind, vor allem aber in dem durch mancherlei Schabernack bekannten Sanitätsrat Cornelius Trimborn fand er engagierte Mitstreiter bei der rasanten weiteren Entwicklung des Ortes.
Das berufliche Tätigkeitsfeld eines Land-Apothekers umfasste seinerzeit zugleich die Sorge um die Gesundheit des Viehs der Landwirte. Leo Bönner erwarb sich hier rasch einen besonderen Ruf; und so reichte sein tierischer Patientenstamm schon bald weit über den eigenen Ort hinaus. Nicht immer ging es dabei nur ganz ernst zu. So geschah es, dass ein Bauer aus dem keineswegs ganz nahegelegenen Örtchen Ulmen mit der Bahn zum Manderscheider Apotheker reiste, um sich Rat und Hilfe wegen einer erkrankten Kuh zu holen. Was der redselige Bahnreisende nicht wusste, war, dass der Sohn des Apothekers zufällig mit ihm im Abteil saß und sich die Leidensgeschichte der Kuh aufmerksam anhörte. Angekommen am Bahnhof Pantenburg eilte der flinke Bursche so schnell es ging zu seinem Vater nach Manderscheid, um ihm von dem bevorstehenden Besuch aus Ulmen zu berichten. Genüsslich wusste der Apotheker seinen Wissensvorsprung zu nutzen und überraschte den verblüfften Landwirt mit seinen hellseherischen Fähigkeiten zum gesundheitlichen Zustand der Kuh.
Nicht minder verblüfft dürfte ein Junge aus dem benachbarten Ort Karl gewesen, den seine Eltern auf den Fußweg zur Manderscheider Apotheke geschickt hatten, um ein Mittel gegen die Flöhe des Haushundes zu besorgen. „Wieso ein Flohmittel?“, fragte ihn der Apotheker. „Weißt du denn nicht, dass der Hund Flöhe haben muss?“ Schuldbewusst gestand der junge Mann seine Unkenntnis ein, um zu erfahren, dass sich sein Hund ja schließlich mit irgendetwas beschäftigen müsse. Und da kämen die Flöhe doch gerade richtig! Ob der Junge das ersehnte Flohmittel am Ende bekam, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, ob er die Rechnung bezahlen musste. Denn gegenüber weniger zahlungskräftigen Kunden verzichtete der Apotheker nicht selten auf die Bezahlung von Medikamenten. Noch viele Jahrzehnte später jedenfalls, aus dem Jungen war längst ein rüstiger alter Herr geworden, erfuhren Wanderer, die durch den kleinen Ort Karl kamen, von seiner denkwürdigen Begegnung mit der Manderscheider Apotheker.
Hohe Improvisationskunst offenbarten der Ort Manderscheid und sein Apotheker bei den Vorbereitungen zur Stippvisite von Kaiser Wilhelm II. bei den Manderscheider Burgen im Jahre 1906. Zur Wegweisung etwa wurde ein Junge aus dem Ort am Ceresplatz abgestellt, der ein Schild „Zu den Burgen“ in den Händen hielt. Die Beflaggung des vom Kaiser angesteuerten „Jackenhäuschens“ sicherte der Apotheker Bönner der Überlieferung nach mittels einer Tischdecke aus seinem häuslichen Bestand. Fotos von dem Kaiserbesuch zeigen den feierlich beflaggten Aussichtspunkt, der seit diesem Ereignis den durchaus hintergründig humorvollen Namen „Kaisertempelchen“ trägt.
Noch viele andere Anekdoten wussten die Menschen in und um Manderscheid von ihrem beliebten Apotheker zu berichten. Vor allem aber blieb Leo Bönner selbst bis zu seinem Tode ein großer Freund Manderscheids und seiner Bewohner, die ihn mit der bereits im Jahre 1948 nach ihm benannten „Leo-Bönner-Allee“ bis heute in ehrenvoller Erinnerung halten.
Apotheker Leo Bönner starb am 8. Februar 1947 und wurde auf dem Manderscheider Friedhof neben seiner ein Jahr vorher verstorbenen Tochter beerdigt.
Franz von Recklinghausen
Hans-Jürgen Neuhaus
Die Familie von Recklinghausen kam um 1830 nach Manderscheid. Heinrich Wilhelm, der Großvater von Franz, war der erste Protestant im Ort den das Kirchenbuch erwähnt. Seine Frau Maria Sibylla war katholischen Glaubens. Ihre Söhne wurden evangelisch, die Töchter katholisch getauft.
Franz von Recklinghausen wurde am 17. Oktober 1853 in Manderscheid geboren. Er war der Sohn von Johann Arnold von Recklinghausen und seiner aus Kyllburg stammenden Ehefrau Gertrud Schweitzer. Franz hatte noch zwei ältere Schwestern, Margaretha und Maria Sibylla. Von Beruf war er Buchbinder und Branntweinhändler.
Im Frühjahr 1873 war er Mitbegründer der Freiwilligen Feuerwehr Manderscheid und wurde deren erster Brandmeister. 1881 wurde er Vorsitzender der neu gegründeten Tanzgesellschaft Manderscheid. 1882 heiratete er die aus Platten stammende Anna Maria Kessel.
Als Mitglied des Verschönerungsvereins gestaltete er die touristische Entwicklung Manderscheids entscheidend mit. In seinem Verlag erschien der Führer durch Manderscheid und seine Umgebung von Bürgermeister Heinrich Josef Thielen und auch die ersten Ansichtskarten wurden von ihm angeboten.
Franz von Recklinghausen starb am 21. März 1931.
Clara Viebig
Hans-Jürgen Neuhaus
Clara Viebig war die Tochter des Oberregierungsrates und Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung Ernst Viebig und dessen Ehefrau Clara. Die Familie stammte ursprünglich aus Posen und gelangte durch die Versetzung des Vaters nach Trier. Dort wurde Clara am 17. Juli 1860 in der Simeonstiftstraße 10 (heute Kutzbachstraße/Ecke Simeonstiftplatz) geboren. Später wohnte die Familie in der Zuckerbergstraße und In der Olk. 1868 wurde der Vater zum stellvertretenden Regierungspräsidenten befördert und musste mit seiner Familie nach Düsseldorf umziehen.
1876 verbrachte die junge Clara in Trier in der Familie eines Landgerichtsrats, den sie in ihren Schriften Onkel Matthieu nennt. Sie begleitete ihn auf seinen Dienstfahrten quer durch die Eifel und lernte so Land und Leute genau kennen und hörte in den Wohn- und Gaststuben von manchen Schicksalen, die sie später in ihren Romanen und Novellen verarbeitete. Aus dieser Zeit stammte ihre Liebe zur Eifel, die sie später in ihren Erzählungen und Romanen literarisch umsetzte.
1900 publizierte sie den Roman „Das Weiberdorf“, der ihr zum literarischen Durchbruch verhalf und sie zu einer der erfolgreichsten Autoren ihrer Zeit machte. In dem Roman beschrieb sie die typischen Lebensumstände vieler Eifeldörfer in dieser Zeit. Die Männer verbrachten das ganze Jahr als Arbeiter im Ruhrgebiet und die Frauen waren alleine zu Hause. Schon der Vorabdruck des Romans in der Frankfurter Zeitung 1899 löste in der Eifel große Empörung aus, vor allem in der Gemeinde Eisenschmitt, wo der Roman spielte. Die Frauen des Dorfes sahen sich in ihrer sittlichen Integrität verletzt und erreichten, dass der bis zur sieben Auflage authentische Ortsname Eisenschmitt in „Eifelschmitt“ umgeändert wurde. So groß war die Empörung, dass sich Clara Viebig bei einem Aufenthalt im Manderscheid im August desselben Jahres tätlich bedroht fühlte. Die „Weiber“ aus Eisenschmitt waren nach Manderscheid gezogen und drohten ihr mit Mistgabeln und wollten ihr die Haare ausreißen.
Herr von Recklinghausen, in dessen Pension sie mit ihrem Mann und Sohn Ernst wohnte, kam ihr zur Hilfe und vertrieb die Furien aus dem Salmtal. Ein Gendarm wurde daraufhin in ihrer Nähe stationiert und die Feuerwehr hielt vorsichtshalber eine Übung ab. Ihrem Mann soll der Bürgermeister geraten haben, einen Revolver bei sich zu tragen. So jedenfalls schrieb Clara Viebig in einem Brief vom 11. August 1899 aus Manderscheid.
Clara Viebig hatte zu Manderscheid stets eine besondere Beziehung. Mehrfach weilte sie zwischen 1899 und 1913 im Ort, wie die Gästebücher der damaligen Hotels belegen. Im Manderscheider Verschönerungsverein war sie Ehrenmitglied. Eine besondere Freundschaft verband sie mit Herrn und Frau von Recklinghausen und mit der Familie Stadtfeld auf der Heidsmühle.
Ihre Romane „Kinder der Eifel", "Das Weiberdorf", "Vom Müller-Hannes", "Heimat", “Rheinlandstöchter“ und „Naturgewalten" spielen alle in der Gegend um Manderscheid.
In Manderscheid erinnert heute nahe dem Kurhaus ein Straßenname an die berühmte Schriftstellerin. Originalbücher aus der Zeit Clara Viebigs und viele weitere Exponate werden im Clara-Viebig-Zentrum in Eisenschmitt präsentiert.
Schuster Heinrich Hoffmann (Pittisch Hein)
Ein Manderscheider Original mit Herz
Friedbert Wißkirchen
Es gab vor Jahren in jedem Eifeler Dorf eine Reihe von Originalen, an die sich heute nur noch wenige Menschen erinnern, so auch in meinem Heimatort Manderscheid. Ihr Leben war oft sehr vielfältig, manchmal auch durch Schicksale, Krankheiten, körperliche Einschränkungen oder besondere Eigenschaften geprägt. So mancher ältere Manderscheider erinnert sich noch an den ehemaligen Schuhmacher und späteren Küster Heinrich Hoffmann. Bei den Einheimischen war er eher als „Pittisch Hein“ oder auch als „Hallo“ bekannt, für uns Kinder und Jugendliche war er „Onkel Hein“.
Heinrich Hoffmann, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, wurde am 29. Oktober 1905 als zehntes Kind des Landwirts Heinrich Josef Hoffmann in Manderscheid in einem kleinen Häuschen im Schatten der Pfarrkirche St. Hubertus geboren. Sein Vater war in 1. Ehe mit der Hebamme Susanne Heck verheiratet. Sie schenkte fünf Kindern das Leben und starb bereits mit 44 Jahren am 29. Mai 1894. Am 1. August 1896 heiratete Heinrich Josef Hoffmann in 2. Ehe die 1863 geborene Susanne Schönhofen aus Gladbach. Aus dieser Verbindung gingen weitere fünf Kinder hervor, als letzter kam Sohn Heinrich in der heutigen Kirchstraße 22 zur Welt.
„Pittisch Hein“ wohnte „op Pittisch Lay“, woraus sich auch der Name erklären lässt. „Pittisch“ war der Hausname, „Hein“ die in der Eifel gebräuchliche Abkürzung für Heinrich. Der Distrikt „Pittisch Lay“ liegt nördlich der Pfarrkirche und umfasst das heutige Pfarrhaus mit dem dahinter liegenden Haus „Pittisch op der Lay“ und das Haus des Schusters Hoffmann. „Pittisch Sooch“ war die schmale Durchfahrt zwischen dem Haus Kirchstraße 22 und der damaligen Pfarrscheune, dem heutigen Pfarrheim. Die Bezeichnung „Lay“ lässt sich leicht ableiten, denn alle Gebäude sind auf Fels gebaut, der teilweise sogar als Fundament der Gebäude über Straßenniveau herausragt.
Eine weitere Namensbezeichnung für Heinrich Hoffmann war „Hallo“. Heinrich Hoffmann grüßte vom Fahrrad im Vorbeifahren nicht wie es vor dem II. Weltkrieg und auch bis in die 1960er Jahre üblich war mit „guten Tag, guten Abend“, sondern mit dem damals ungewöhnlichen Gruß „Hallo“. Auch wenn er ein Haus betrat, um die Schuhe zurückzubringen und auf Anhieb niemand antraf, erschallte ein lautes „Hallo“ durchs Haus. Das verschaffte ihm den Spitznamen „Hallo“. Wenn jemand vor und nach dem Krieg in Manderscheid mit dem saloppen „Hallo!“ grüßte, erhielt er manchmal zur Antwort: „Dä woahnt hanner da Kierch“.
Als Kind hatte man vor älteren Personen meist Respekt, manchmal sogar Angst. Heinrich Hoffmann gehörte nicht dazu. Er hatte zu Kindern und Jugendlichen eine besondere Beziehung. Er war keine Autoritätsperson vor dem wir Angst hatten, er war für uns wie ein Onkel. Obwohl wir beim Spiel um die Pfarrkirche auch sein Grundstück in Anspruch nahmen, sah er das eher gelassen. Wenn er mal böse wurde, ob einer unserer Streiche, hielt dies nie lange an. Im Herzen war er ein freundlicher und gutmütiger Mensch, der Kinder mochte. Deshalb wählten wir Kinder und Jugendliche instinktiv die familiäre Anrede „Onkel Hein“.
Pittisch Hein hatte den Beruf des Schuhmachers erlernt und betrieb seit den 1930er Jahren eine kleine Werkstatt in seinem Geburts- und Elternhaus. Das Fachwerkhaus Kirchstraße 22 ist das älteste Haus der Stadt. Es wurde 1643 erbaut und auch als „Cammersches Haus“ bezeichnet. Seine Großmutter väterlicherseits war Anna Maria geborene Cammers, ihre Vorfahren hatten das Haus über Jahrhunderte in Besitz. Das kleine Haus „hinter dem Dom“, wie Heinrich Hoffmann scherzhaft bemerkte, blieb von mehreren Großbränden verschont. Ein erster nachgewiesener größerer Brand 1718 zerstörte auch Kirche und Pfarrhaus, scheinbar nicht das Nachbarhaus Cammers. Nur acht Jahre später wurde 1726 ein Großbrand durch Blitzeinschlag ausgelöst. Die Pfarrchronik berichtet: „1726 schlug bei Nachtzeit ein Gewitter in ein Haus, zündete und viele Häuser wurden wieder ein Raub der Flammen. Glücklicherweise wurde der Brand gelöscht, als er in der Nachbarschaft des Pfarrhauses wütete, bei dem sogenannten Cammerschen Hause.“ Auch bei dem großen Dorfbrand im Jahre 1791, als fast ganz Manderscheid abbrannte, nahm das Haus keinen Schaden.
Das Erdgeschoss besteht aus gemauertem Bruchstein, Obergeschoss und Speicher sind in Fachwerk hergestellt. Der Grundriss beträgt etwa. 7 x 7 m. Betrat man den Eingang, kam man in eine offene Eifeler Küche, die mit einem Sandsteinboden ausgelegt war. In dieser Küche, die eher als Vorraum diente, stand immer sein Fahrrad. Rechts ging es in die Schusterwerkstatt, geradeaus erreichte man die Treppe ins Obergeschoss und den Abgang in den Keller. Wegen des felsigen Untergrundes war nur ein Teil des Hauses mit einem Keller versehen. Im Obergeschoss waren die Schlafräume. Heute unvorstellbar, dass in einem solch kleinen Häuschen 10 – 12 Personen lebten. Die Schusterwerkstatt war etwa 6 m lang und 2,50 breit. Unterhalb des Fensters stand der Schustertisch, davor hingen an den Wänden Werkzeuge und Ersatzteile. Direkt neben der Tür war eine bemalte Wanduhr mit zwei Gewichten in Form von Tannenzapfen angebracht, die er von einer Fahrt in die Dörfer mitgebracht und repariert hatte. Rechts von der Türe stand ein kleiner, gusseiserner Ofen und daneben ein alter Sessel, der weniger zum Sitzen als zur Ablage diente. Der Ofen wurde kostengünstig beheizt. Bei den Kohlehändlern kehrte „Hein“ den Kohlestaub zusammen, mischte ihn mit Sägemehl und feuerte mit dieser Spezialmischung seinen Ofen, der wohlige Wärme verbreitete. Links vom Eingang stand die Nähmaschine, dann folgten Regale. An der gegenüberliegenden Wand stand ein langer Tisch, der als solcher nicht mehr zu erkennen, sondern aus einem Gewirr von Schuhen, Taschen und anderen Utensilien, teilweise aus Vorkriegszeiten, bestand. An den Wänden hingen, im Halbdunkel des hinteren Raums kaum erkennbar, Urkunden über Meisterschaften und Pokalsiege sowie Bilder der Mannschaften des Manderscheider Sportvereins. Die einzige Lampe, die den Raum erhellte, hing über dem Arbeitstisch. Im Vorraum (Küche) stand das Fahrrad, das Onkel Hein wie seinen Augapfel hütete. Es war noch ein Vorkriegsmodell, ausgestattet mit einer Karbidlampe. Für neue Reifen war kein Geld da, also wurde der Mantel erneut mit einem Flicken versehen. Nicht nur die schlechten Straßen, auch der Flickenteppich des Reifens machte die Fahrt holprig. Für Schuster Hoffmann war es ein wichtiges Verkehrsmittel, denn er reparierte nicht nur Schuhe aus Manderscheid. In meinem Heimatort gab es in den 50-60er Jahren vier Schuhmacher, sodass „Hein“ seine Kunden auch in Bleckhausen oder Pantenburg suchte und fand. Wenn die Reparaturen fertig waren, wurden die Schuhe eines Dorfes in zwei große Taschen verpackt, eine auf dem Gepäckträger, eine am Lenker und den Besitzern persönlich zurückgebracht. Seine Arbeit wurde oft mit Naturalien, Eier, Speck und Butter entlohnt. Er war ein gutmütiger Mensch, der sich manchmal auch vertrösten ließ, wenn es ums Bezahlen ging. So manches Paar Schuhe wurden geflickt, ohne dass seine Arbeit entlohnt wurde.
Bereits in den 1930er Jahren fuhr Hein mit dem Fahrrad nach Köln um in Müngersdorf ein Fußball-Länderspiel zu besuchen. Fußball war seine Leidenschaft, auch wenn er selbst nicht spielte. Von Geburt an hatte er eine Verwachsung am Rücken, landläufig ausgedrückt, einen kleinen Buckel. Meine erste Begegnung fand Anfang der 1950er Jahre auf dem Sportplatz „Auf dem Eschen“ statt, als die damalige Mannschaft um Josef Dresen, Karl Zimmel, Hermann Gillen, Willi Fuhrmann gegen den SV Wittlich spielte. Mehrmals flog der Ball während des Spiels in die nur wenige Meter entfernte Lieser und Onkel Hein rannte dann mit einer langen Fichtenstange, an deren Ende ein selbst gebauter Drahtkorb angebracht war, am Flüßchen entlang, um den Ball wieder aufzufischen. Für einen 8-Jährigen war natürlich das „Ballfischen“ viel interessanter als das Fußballspiel. So rannte er, begleitet von uns, oft den ganzen Lieserbogen entlang, um den Ball wieder an Land zu ziehen. Manchmal war die Lieser auch schneller, vor allem wenn der Fluss Hochwasser führte.
Seit der Sportverein 1949 den Spielbetrieb wiederaufgenommen hatte, war Heinrich Hoffmann bemüht, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Fußballschuhe hatten damals Seltenheitswert. So nagelte „Zeugwart“ Hoffmann einfache, selbst gemachte Lederstollen auf Straßenschuhe oder flickte alte Vorkriegsfußballschuhe wieder so zusammen, dass sie noch brauchbar waren. Anfang der 1950er Jahre wurde der Sportplatz von Niedermanderscheid auf eine Wiese „Auf der Höhe“ am Wasserhochbehälter, Richtung Bleckhausen, verlegt. Am Sonntagmorgen nach dem Hochamt begleiteten wir Onkel Hein mit seinem Fahrrad, das mit vier Eckfähnchen und einem Sack Sägemehl beladen war, zum Sportplatz. Mit dem Sägemehl wurden die Linien markiert und danach die Eckfähnchen aufgestellt. Wenn wir ordentlich halfen, erhielten wir zur Belohnung einen Lederball, um damit einige Minuten zu spielen. Beim nachmittäglichen Spiel stand er dann an der Seitenlinie und fungierte als objektiver Linienrichter, in den Sommermonaten oft mit einem geknoteten Taschentuch auf dem Kopf, um sich vor der Sonne zu schützen, sonst war sein Haupt stets mit einer Baskenmütze bedeckt.
Als immer mehr junge Menschen und Fußballer Manderscheid zur Ausbildung oder Arbeit in den Ballungsgebieten an Rhein und Ruhr verließen, stellte der Sportverein 1955 aus Spielermangel seine Aktivitäten ein. Heinrich Hoffmann war wohl einer der Traurigsten, denn im fehlten „seine Jungen“, sein Fußball, sein Lebenselexier. Die Bälle des stillgelegten Vereins nahm er in seine Obhut. Das wussten wir Jungen natürlich und bettelten darum, dass er uns einen der alten Lederbälle für das Spiel auf dem Marktplatz herausgab. Die Kirche und der alte Friedhof waren durch einen eisernen Zaun zum Markt abgegrenzt. Die eisernen Spitzen am oberen Zaunrand spießten so manchen Ball auf. War ein Loch im Ball, die Blase undicht, eine Naht aufgeplatzt, musste Onkel Hein, unser „Nothelfer“, ran. Für uns gab es ja nichts Wichtigeres als einen Fußball zur Verfügung zu haben. So wurde Onkel Hein mehrfach am Tag in seiner „Schusterbude“ aufgesucht, um ihn um die Reparatur des Balles zu bitten. Meist war er spätestens am nächsten Tag nach der Schule wieder spielbereit und natürlich ohne Bezahlung.
1963 wurde der Sportverein Manderscheid neu gegründet. Bei der Gründungsversammlung strahlten seine Augen und er tat den Ausspruch:“ Jetzt hat der Sonntag hatte wieder einen Sinn!“ Sonntag für Sonntag übernahm er wieder die Aufgabe, das Spielfeld abzugrenzen und fungierte wieder als Linienrichter. Bei jedem Wetter, ob Auswärts- oder Heimspiel, Onkel Hein war dabei, flickte unsere Fußballschuhe und pflegte die Bälle, er war wieder Mädchen für alles und tat dies mit großer Begeisterung. Vor allem die sportlichen Erfolge seiner Jungen, der Aufstieg von der 3. Kreisklasse bis in die A-Klasse Mosel innerhalb weniger Jahre machten ihn stolz.
Ein weiteres Amt übte er etwas mehr als drei Jahre aus. Pfarrer Anton Didas hatte 1963 die Pfarrstelle in Manderscheid angetreten, suchte einen Küster und sprach seinen Nachbarn an. Damals muss eine Wandlung in Heinrich Hoffmann vorgegangen sein. Er, der zur Kirche ein gespaltenes Verhältnis hatte, entschied sich schnell das Angebot anzunehmen. Vielleicht war die Person des neuen Pastors und der nachbarliche Umgang hilfreich. Für Hein war die Übernahme des Küsteramtes eine Ehre, verhalf ihm aber auch zu einem kleinen geregelten Einkommen. Wie beim Sportverein, war er auch in Kirchendiensten ein zuverlässiger und zufriedener Mitarbeiter, der solange es die Gesundheit zuließ, dem Herrn diente.
Der 4. November 1968 war für die Fußballer und den Sportverein ein trauriger Tag. Still, wie er gelebt hatte, verabschiedete er sich auch von dieser Welt. Nach kurzer, schwerer Krankheit starb das Vorstands- und Ehrenmitglied Heinrich Hoffmann mit nur 63 Jahren. Aber auch die Kirchengemeinde trauerte um einen besonderen Menschen. Am 7. November, einem trüben Herbsttag, trugen Spieler der Nachkriegs- und der aktuellen Fußballmannschaft ihn unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu Grabe. Auch aus den Nachbarorten waren Trauergäste erschienen.
Mit dem Tode von „Pittisch Hein“ hatte Manderscheid ein Original weniger, aber auch einen Menschen verloren, der sich über Jahrzehnte für die Jugend, den Sport, die Kirche einsetzte.
Heinrich Hoffmann war ein überaus bescheidener, hilfsbereiter Mensch, der keine Ansprüche ans Leben stellte und mit dem Wenigen, was er hatte, zufrieden war. Er hatte ein gutes Verhältnis zu seinem Nachbarn, dem Landwirt „Pittisch“ Paul. Dort erhielt er jeden Tag einen halben Liter Milch und beim Schlachtfest des Nachbarn hatte Hein auch Schlachtfest. Wenn die Nachbarskinder nach einer Schuhreparatur fragten: „Onkel Hein, wat kröst de?“ antwortete er: „Bät en Stuußgebätchen fier meich“. Die Reihenfolge der Schuhreparaturen wurde nach sozialen Gesichtspunkten vorgenommen. Hatte jemand noch ein zweites Paar Schuhe, wurde das Besohlen oder die Reparatur zugunsten des Kunden zurückgestellt, der nur ein einziges Paar Schuhe besaß. Oft vernachlässigte er seinen Beruf, sein eigenes Einkommen, um für andere Menschen dazu sein. Seine Schusterstube wurde im Winter gerne als Kommunikationsort der Nachbarschaft genutzt. Er war auch ein humorvoller Mann, denn oft stellte er sich als „Dr. Hoffmann, Knieriemenalrat, Hinter dem Dom“ vor.
In einem Nachruf des Sportvereins wird der Verstorbene trefflich charakterisiert: „Onkel Hein war ein Mann, der gerne im Stillen wirkte, dem es nicht um äußere Ehre und äußeres Ansehen ging. Er stellte Dienen über das Bedienen, die Einfachheit über die Aufwendigkeit, die Pflicht über die Bequemlichkeit. Nicht zuletzt die Jugend verliert in ihm einen wahren Freund und ein nachahmenswertes Vorbild".
Pfarrer Anton Peter Maria Didas
Pfarrer in Manderscheid von 1963 bis 1978 - Erbauer der Lebensbaumkirche
Hans-Jürgen Neuhaus
Anton Peter Maria Didas wurde am 20. Dezember 1908 in Eiweiler an der Nahe geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums der Steyler-Missionsgesellschaft vom göttlichen Wort in St. Wendel trat er 1930 in das Priesterseminar in Trier ein. Am 28. März 1936 empfing er die Priesterweihe. Seine erste seelsorgerische Tätigkeit übernahm er im Juli 1936 als Kaplan in Gerolstein. 1938 wurde er Kaplan in Schwalbach an der Saar, wo er infolge des Krieges am 1 .September 1939 mit dieser Gemeinde nach Mitteldeutschland evakuiert wurde. Nach seiner Rückkehr wurde er im Oktober 1940 Kaplan in Ochtendung. Von 1943 bis 1949 wirkte Anton Didas zuerst als Expositus, dann als Vikar in Kail-Brieden an der Mosel. Im März 1949 wurde er zum Pfarrer von St. Walpurgis in Idar-Oberstein berufen. Nach 14-jähriger Tätigkeit in dieser Pfarrei übernahm er im Sommer 1963 die Pfarrstelle St. Hubertus in Manderscheid, die er als Pfarrer und Definitor bis Oktober 1978 betreute.
Neben der allgemeinen seelsorgerischen Tätigkeit, widmete er sich hier in ganz besonderer Weise dem Neubau der jetzigen Kirche, der er den Namen „Lebensbaumkirche“ gab. Planung und Gestaltung dieser Kirche sind wesentlich durch sein tief religiöses Denken, sein umfassendes theologisches Wissen sowie sein außerordentliches Kunstverständnis geprägt. Dombaumeister Karl Peter Böhr verstand es meisterlich, die Wunschvorstellungen von Pfarrer Didas in die Tat umzusetzen. Die Lebensbaumkirche ist der unumstrittene Mittelpunkt der Stadt Manderscheid.
Pfarrer Anton Peter Maria Didas verstarb am 27. Mai 1979 in Manderscheid. Er wurde in seiner geliebten Kirche vor dem Bild der schmerzhaften Muttergottes beigesetzt.